Betreuungsschlüssel in (Leipziger) Sächsischen Kitas in der Kritik
Der Betreuungsschlüssel in sächsischen Kitas steht immer wieder in der Kritik. Denn eine Erzieherin leistet weit mehr als das, was ihr tatsächlich bezahlt wird. Ein Kita-Besuch.
An diesem Tag gibt es in der Kita „Kleine Füchse“ in der Frohburger Straße in Connewitz ein Fest: Der kleine Henning feiert seinen Abschied. Was nach einem schönen Vormittag klingt, bedeutet auch Arbeit – die Erzieher müssen ein Geschenk kaufen, den Raum vorbereiten und dekorieren. Das Problem: Im aktuellen Betreuungsschlüssel ist diese Arbeit eigentlich nicht vorgesehen. Mit der Berechnungsgröße Betreuungsschlüssel wird ausgerechnet, wie viel Personal sich um welche Anzahl von Kindern kümmert.
Momentan ist in Sachsen eine vollbeschäftigte pädagogische Fachkraft für zwölf Kita-Kinder verantwortlich, in der Krippe kommen auf einen Betreuer 5,5 Kinder (ab 1. September 2018 dann fünf). Doch diese Rechnung geht davon aus, dass ein Erzieher ausschließlich mit den Kindern arbeitet – also bastelt, malt, vorliest. Das macht aber lediglich 75 Prozent des Alltags aus, der Rest setzt sich aus ganz unterschiedlichen Tätigkeiten zusammen: Da sind Elterngespräche, das Dokumentieren der Entwicklung der Kinder, Partys, Teamsitzungen und das Betreuen von Praktikanten. „Diese Zeit wird im Alltag von den Kindern abgezogen“, sagt Kristina Apitz, Leiterin der Kita.
Bei den „Kleinen Füchse“ wird an diesem Vormittag deutlich, dass klare Zeitspannen für das Vor- und Nachbereiten nötig wären. Während Erzieherin Sophie Ibrom das Portfolio des kleinen Henning vervollständigt und auf einem Schemel sitzend ein paar Bilder in Klarsichtfolien schiebt, schallt es von allen Seiten: „Sophie, ich brauche einen Stift“, „Sophie, was machst du da?“ Und dann läuft noch einem der Kinder die Nase und Sophie Ibrom sagt: „Schau mal, da hinten sind Taschentücher.“ Die Betreuer haben ihre Augen gefühlt überall, dazu sind an diesem Tag drei Fachkräfte krank.
Auch das ist ein Problem am aktuellen Betreuungsschlüssel: Urlaub, Krankheit oder Weiterbildungen sind nicht eingerechnet. Und in einer Kita werden auch die Erwachsenen häufig krank. „Viele Eltern schicken ihre Kleinen krank zu uns“, erzählt Sophie Ibrom. „Da sagt dann ein Kind im Morgenkreis: ,Ich kann nichts essen, ich habe mich heute früh übergeben.‘“ So manche Betreuerin steckt sich dann an.
Das Sächsische Graswurzelbündnis „Die bessere Kita“, ein Zusammenschluss aus Trägern, Eltern und Gewerkschaften, fordert die Anrechnung von sogenannter mittelbarer pädagogischer Zeit, also Vor- und Nachbereitungszeit, auf den Betreuungsschlüssel, ebenso die Anerkennung von Ausfallzeiten wie Urlaub und Fortbildungen. Derzeit komme man mit einem Schlüssel von 1:12 in der Realität auf ein Verhältnis von 1:17 Kindern, sagt Kristina Apitz. „Wir können unseren pädagogischen Anspruch nicht halten, weil die Rahmenbedingungen so schlecht sind“, klagt die Kita-Leiterin. „Ein Vollzeitkind wird mit 45 Stunden berechnet, aber ein Vollzeiterzieher nur mit 40 Stunden. Man fragt sich oft nur: Warum?“
In ihrer Einrichtung sind 40 Betreuer für 300 Kinder da. „Wir helfen aus, wenn in einer Gruppe Erziehermangel herrscht. Jeder findet irgendwie eine Lösung. Aber die ist unzufriedenstellend“, findet Kristina Apitz. „Am meisten leiden dann die Kleinen.“ Eigentlich sei sie als Leiterin der Kita nicht als Betreuerin vorgesehen, manchmal gehe es aber nicht anders: „Es gibt Zeiten, da bin ich fast nur bei den Kindern.“
Erzieherin Sophie Ibrom arbeitet seit zwei Jahren in der Kita. „Wir versuchen, Arbeiten wie Portfolios vor allem im Sommer zu erledigen, wenn nicht so viel los ist. Aber dann ist vieles schon wieder so lange her“, sagt die 27-Jährige. Die Portfolios sind aufwendig gestaltet, kleine und große Ereignisse vom gemeinsamen Malen bis zum Faschingsfest werden dokumentiert und einzelne Entwicklungsschritte der Kinder beschrieben. Während Sophie Ibrom erzählt, zieht ein Kind an ihrem Oberteil. Der Nachwuchs braucht Aufmerksamkeit – und fordert ihn ein.
Bis sich etwas ändert, will Kristina Apitz weiter kämpfen, und mit ihr alle Mitglieder des Graswurzelbündnisses. Denn dass am Ende vor allem die Kinder leiden, das sieht die Kita-Leiterin nicht ein.
Von Sophie Aschenbrenner Quelle: LVZ am 16.01.2018