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AG ‚Kita-Betreuungsschlüssel Sachsen‘ – Rückblick 12.04. und Ausblick

Liebe Kita-Interessierte,

wir wollen kurz auf das 1. Treffen der neu gegründeten ‚AG Kita-Betreuungsschlüssel Sachsen‘ vom 12.04.2017 sowohl zurück- als auch in die Zukunft schauen.

Zunächst einmal: Wow – was war das für ein Abend! So viele interessierte und engagierte Menschen, die aktiv etwas an der Kita-Situation verbessern möchten! Wir sind begeistert und beeindruckt. Einen Eindruck könnt Ihr Euch im Beitrag von Leipzig Fernsehen verschaffen.

Am Mittwoch vor 2 Wochen luden wir als Leipziger Kita-Initiative in die Kita „Kleine Füchse“ ein, um über eine Verbesserung des Betreuungsschlüssels in Sachsen und klar geregelte Vor- und Nachbereitungszeiten für Fachkräfte zu sprechen. Ziele des Abends waren, in einen gemeinsamen Austausch zu treten und erste Ideen der Vernetzung und Zusammenarbeit zu finden. Diese Ziele haben wir ganz klar erreicht! Ein großer Dank an alle, die dabei sein konnten.

Es gab eine breite Zustimmung zu unseren Forderungen. (Informationen dazu findet ihr auch hier.) Ebenso äußerten viele ihre Empörung über die schlechten Rahmenbedingungen in den Kitas. Auch gab es erste gute Ideen, unsere gemeinsamen Ziele zu erreichen. Die wichtigste Erkenntnis des Abends: Nur wenn wir uns zusammentun (mit Dresden, Chemnitz und den ländlichen Regionen in Sachsen, etwa mit Initiativen wie http://die-bessere-kita.de) und eine wirklich BREITE Basis schaffen, werden wir etwas bewegen! Deshalb streben wir vor allem VERNETZUNG an.

Gemeinsam haben wir das 2. großen Treffen der ‚AG Kita-Betreuungsschlüssel Sachsen‘ am Dienstag, den 20.6.17 um 19 Uhr vereinbart, um die nächsten Schritte anzugehen. Der erste dieser Schritte lautet: Jeder bringt zum 2. Termin noch eine Person mit! Dies ist auch eine herzliche Einladung an alle, die beim ersten Mal nicht dabei sein konnten – kommt diesmal einfach zu zweit!

Wir suchen außerdem Unterstützer_innen und Gestalter_innen, die sich aktiv für Veränderungen einsetzen wollen. So müssen wir u.a. Aktionen für den 20.09.2017 planen und benötigen hierbei mehr Hände und Köpfe als uns 5 Kern-Aktive, die wir gerade sind. Meldet euch (via Mail oder Facebook), wenn ihr Euch aktiv einbringen möchtet. Es stehen bereits Termine für die Aktions-Planungstreffen fest. Meldet Euch auch gern, wenn ihr Ideen habt oder Teil des inneren Kerns der Kita-Initiative werden wollt.

Schickt diese E-Mail gern an Interessierte weiter und helft so beim Vernetzen und breite Masse erzeugen, damit sich endlich etwas ändert.

Für alle, die genau wissen möchten, was zum 1. Treffen passiert ist, gibt es außerdem das Protokoll des 1. Treffens sowie die von uns erstellte Powerpoint-Präsentation zum Download.

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Enttäuschung über den Koalitionsvertrag

Am 23. Oktober 2014 haben die zukünftigen sächsischen Regierungsparteien CDU und SPD ihren Koalitionsvertrag für die kommende Legislaturperiode der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Es ist begrüßenswert, dass die Landesregierung darin die Notwendigkeit der Verbesserung der frühkindlichen Bildung erkannt hat, Maßnahmen für eine deutliche Verbesserung der Betreuungsqualität wurden allerdings nicht beschlossen.

Minimalkonsens statt Qualitätsoffensive

Das Land Sachsen wird trotz geringer Verbesserung des Betreuungsschlüssels bis 2016 bzw. 2018 auch zukünftig Schlusslicht in Sachen Betreuungsqualität sein. Eine Verbesserung der Fachkraft-Kind-Relation ist längst überfällig – der Koalitionsvertrag ist offensichtlich Minimalkonsens, von einer Qualitätsoffensive kann nicht die Rede sein.

‚Betreuungsschlüssel‘ nach wie vor missverstanden

Dass die Medien davon sprechen, dass ab 2016 eine Fachkraft ’nur noch‘ 12 statt 13 bzw. im Krippenbereich ab 2018 5 statt 6 Kinder betreuen wird, zeigt, wie wenig von der Materie verstanden wird, denn das wird nicht der Fall sein. Es handelt sich beim Betreuungsschlüssel nicht um einen Gruppenschlüssel, sondern um eine Berechnung: Eine (statistische) pädagogische Fachkraft im Sinne einer 9-Stunden-Vollzeitäquivalente wird in ein statistisches Verhältnis zu 12 (statistischen) Kindern gesetzt. Die meisten Erzieherinnen und Erzieher arbeiten aber in Teilzeit, manche Kinder werden 10 Stunden, andere nur 5 betreut. Der Schlüssel geht davon aus, dass sich das „hinrüttelt“, das tut es aber nicht: Aktuell betreut eine Fachkraft im Kindergartenbereich in Leipzig durchschnittlich zur Hauptzeit etwa 18 Kinder. Dem gesetzlichen Betreuungsschlüssel wird damit dennoch entsprochen.

Verbesserung minimal

Ab 2016 werden es dann nicht mehr 18 Kinder sein, die eine Erzieherin betreut, sondern vielleicht 16 oder 15, aber es sind noch immer zu viele, um eine qualitativ hochwertige Betreuung zu gewährleisten oder den sächsischen Bildungsplan umzusetzen. Unserer Forderung nach einer anderen Berechnung des Schlüssels im Sinne einer tatsächlichen Fachkraft-Kind-Relation und einem Betreuungsverhältnis von 1:10 im Ü3- und 1:4 im U3-Bereich kommen die Pläne der Regierung nicht nach. Die Regierung musste den Betreuungsschlüssel verbessern nachdem dieser eines der heißen Wahlkampfthemen war. Dass die Verbesserungen aber dermaßen gering ausfallen, ist enttäuschend!

Zahlreiche Maßnahmen nicht angesprochen

Uns fehlen zahlreiche Punkte, die für eine tatsächliche Verbesserung der Betreuungsqualität wichtig wären: Von der so wichtigen und längst überfälligen Vergütung von Vor- und Nachbereitungszeiten für pädagogische Fachkräfte in Kinderbetreuungseinrichtungen ist zum Beispiel nicht die Rede. Dass das Land Sachsen die Personalkosten für die Verbesserung der Betreuungsrelation übernehmen will ist zwar positiv zu bewerten, kompensiert aber kaum die Betriebskosten, die die Kommunen in den letzten Jahren nahezu allein tragen mussten. Auch zukünftig werden die Landeszuschüsse für die Kinderbetreuung ein Witz sein! CDU und SPD täten gut daran, grundsätzlich über eine Novellierung des sächsischen Kitagesetzes nachzudenken, in dem etwa der Landeszuschuss dynamisiert wird und nicht durch einen Festbetrag geregelt ist.  Die Hauptlast werden weiterhin Kommunen und Eltern tragen. Außerdem kommen in Sachsen ca. 40% der Kinder mit sprachlichen und kognitiven Problemen in die Schule. Das ist ein Problem, auf das reagiert werden müsste, etwa mit einem kostenfreien verpflichtenden Vorschuljahr. Auch hier verpasst die Regierung die Chance, die Probleme tatkräftig anzugehen.

Ausbildung, Forschung stärken positiv, Finanzierung unklar

Positiv ist die Betonung der qualitativen Verbesserung von Aus‐,  Fort‐ und  Weiterbildung pädagogischer Fachkräfte für frühkindliche Bildung sowie das Vorhaben, frühkindliche Bildungsforschung stärker anzuregen. Auch die Weiterentwicklung von Kindertagesstätten zu Familienzentren sehen wir als ein positives Signal für eine sinnvollere Gestaltung frühkindlicher Bildung.“Es bleibt abzuwarten, ob die Regierung diese Vorhaben auch finanziell untermauern und die Kommunen bei der Umsetzung effektiv unterstützen wird.

Natürlich ist frühkindliche Betreuung ein finanzieller Kraftakt, für Kommunen ebenso wie für das Land. Aber es geht dabei um so Vieles: Um die nachwachsenden Generationen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf etwa. Die Prioritäten müssen an dieser Stelle klar sein und gegebenenfalls andere Projekte hintenan gestellt werden.

Rechtsanspruch auf Verwahrung?

Zu wenig Erzieher für zu viele Kinder in Sachsen

Die Erkenntnis ist nicht neu: Sachsen zählt zu den Bundesländern mit den schlechtesten Betreuungsschlüsseln in Kindertageseinrichtungen – sowohl auf dem Papier als auch in der Realität. Das bestätigte jüngst erneut eine Studie der Bertelsmann Stiftung (> zur Meldung). Demnach fehlen in Sachsen 16.700 Erzieherinnen und Erzieher. Eine Betreuerin müsste in Sachsen im Durchschnitt 6,3 Krippen- und 13,5 Kindergartenkinder betreuen. Experten empfehlen hingegen ein Verhältnis von 1:3 in der Krippe und höchstens 1:7 im Kindergartenbereich. Der Rechtsanspruch und die in Leipzig vorgenommenen Maßnahmen zur kurzfristigen Schaffung zusätzlicher Betreuungsplätze haben die reale Betreuungssituation in Leipziger Kindertagesstätten noch verschärft.

Zustände in Leipziger Kitas katastrophal 

Wir haben in verschiedenen Leipziger Kinderbetreuungseinrichtungen nach den Arbeitsbedingungen und Problemen gefragt. Die Rückmeldungen sind mehr als beunruhigend:

„Wir können den Betrieb nur mit Schülerpraktikantinnen aufrecht erhalten.“

„Jeder Krankheitsfall bringt uns an unsere Grenzen, es gibt keine Erzieher die einspringen können.“

„Ich habe so viele Überstunden, dass ich bis Herbst Urlaub machen könnte.“

„Pädagogische Arbeit ist nicht mehr möglich, es geht nur noch darum, das Chaos zu verwalten.“

„Ich habe mir die Arbeit wertvoller vorgestellt.“

Das sind nur einige Aussagen von Erzieherinnen und Erziehern uns gegenüber. Wir waren wirklich schockiert, als wir mit den Kitas telefoniert haben. Obwohl wir durch zahlreiche Schilderungen von besorgten Eltern vorbereitet waren, sind die Rückmeldungen aus den Kitas schlimmer, als wir erwartet haben. Viele Erzieherinnen und Erzieher wünschen sich mehr Unterstützung von der Kommune und endlich eine Verbesserung des Personalschlüssels. Das Spardiktat der CDU-geführten Landesregierung wird auf den Rücken der Kinder und den Erzieher und Erzieherinnen ausgetragen! Unsere Kinder haben gute, liebevolle Betreuung verdient, keine Verwahrung!

Personalschlüssel ist kein Gruppenschlüssel

Der Betreuungsschlüssel in Sachsen ermöglicht schon jetzt wenig qualitative pädagogische Arbeit. Zunächst einmal muss deutlich gemacht werden, dass der Personalschlüssel kein Gruppenschlüssel ist. Es handelt sich um eine Berechnung mit Vollzeitäquivalenten und nicht um tatsächliche Einzelpersonen, die für je 6 Krippen- oder 13 Kindergartenkinder verantwortlich wären. Viele Erzieherinnen und Erzieher haben Teilzeitstellen, Gruppengrößen um die 18 Kinder sind in Leipzig normal und nach Aussage des Jugendamts auch im rechtlichen Rahmen. In vielen Kitas ist die tatsächliche Fachkraft-Kind-Relation durch offene oder teiloffene Arbeit ohne feste Bezugsgruppen außerdem schwammig und vermutlich faktisch noch schlechter. Das sächsische Kita-Gesetz sieht diesbezüglich keine konkreten Reglungen vor. Kommen Personalausfälle durch Urlaub und Krankheit hinzu, verschlimmert sich die Situation. Aus Leipziger Kindertagesstätten kamen 2013 allein sieben Überlastungsanzeigen. Das muss wachrütteln!

Auch Vor- und Nachbereitungszeiten fehlen

Elternverbände und Gewerkschaften fordern schon lange die Verbesserung der Personalstruktur in sächsischen Kitas. Ende 2013 wurde eine 77.000 Unterschriften starke Petition im sächsischen Landtag eingereicht. Bei dieser geht es auch um die Einführung von Vor- und Nachbereitungszeiten. Der auf den Papier festgesetzte Betreuungsschlüssel kann in der Realität meist nicht eingehalten werden, da Verwaltungsaufgaben oder Vor- und Nachbereitungszeiten der pädagogischen Arbeit im Personalschlüssel nicht in ausreichendem Umfang eingeplant sind. Wollen Erzieherinnen und Erzieher Entwicklungsdokumentation, Elterngespräche und pädagogisch durchdachte Angebote leisten, wie im sächsischen Bildungsplan gefordert, müssen sie dies oft in ihrer Freizeit erledigen.

Am 31. August für gute Kinderbetreuung wählen

Ein Umdenken ist dringend notwendig. Bei der Kinderbetreuung darf es nicht nur um Quantität gehen, sondern auch um Qualität! Mehr Erzieher, ein Personalschlüssel entsprechend einer realen Fachkraft-Kind-Relation, idealerweise von 1:3 im Krippen- und 1:7 im Kindergartenbereich, eine angemessene Entlohnung für die Erzieherinnen und Erzieher, bezahlte Vor- und Nachbereitungszeiten, ein Pool von Erzieherinnen, die im Krankheitsfall einspringen können, gute und regelmäßige Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen und kleine Gruppen sind wesentliche Bausteine für eine verantwortungsvolle frühkindliche Bildung. Ein Bündel von verbessernden Maßnahmen ist notwendig, um die Arbeit im Bereich der Frühpädagogik wieder attraktiv zu machen und nicht zuletzt unseren Kindern gerecht zu werden. Die sächsische Landtagswahl am 31.08.2014 sehen wir als Chance und hoffen, dass Wähler und Parteien diese im Sinne einer guten Kinderbetreuung nutzen werden .

Gelegenheit, die Positionen zur Kinderbetreuung der zur Wahl stehenden Parteien in Erfahrungen zu bringen gibt es zum Beispiel beim „Kita-Talk“ am 23.08.2014, von 10:30 – 11:30 Uhr im Podium Nikolaikirchhof, veranstaltet vom Gesamtelternrat Leipzig.

Veranstaltungstext:

Wir möchten eine Woche vor der Landtagswahl den Eltern und Familien in
Leipzig die Chance geben, die Landtagskandidaten der Parteien
kennenzulernen und deren Standpunkt zum Thema „Kita“ zu erfahren.

Zum „Kita-Talk“ laden wir alle großen Parteien in Sachsen ein, mit uns
auf einem Podium die Rahmenbedingungen in Sächsischen Kitas zu
diskutieren. Infostände und ein familiäres Rahmenprogramm runden die
Veranstaltung ab.